• Allemagne: Un professeur d'université démissionne en signe de protestation contre les réformes

    «Die Universität hat sich selber aufgegeben und aufgelöst»

    18 Jahre war Marius Reiser Professor für Neues Testament am Fachbereich Katholische Theologie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Auf eigenen Antrag ist er seit dem 1. April aus dem Dienst ausgeschieden. Der Grund: die Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf die Universitäten. Im NZ-Gespräch erklärt Reiser seine Beweggründe und warum die Universität nicht mehr das ist, was sie eigentlich sein sollte.

    NZ: Herr Reiser, mit Wilhelm von Humboldt und John Henry Newman haben Sie eines gemeinsam: Sie teilen die gleiche Auffassung, was eine Universität sein soll und was nicht.

    Reiser: Die Universität soll die Persönlichkeit bilden. Die Studenten sollen lernen, selbstständig zu denken, zu handeln und sachlich zu argumentieren. Das war das Hauptziel der Universität und nicht die Ausbildung für bestimmte Fertigkeiten oder einen Beruf. Die direkte Berufsausbildung hat Humboldt zeitlich und sachlich nachgeordnet. Er war der Meinung, dass die Allgemeinbildung und die Bildung des Geistes vor der Berufsausbildung stehen. Newman hat das auch gesagt.

    NZ: Die akademische Freiheit an den Universitäten wurde häufig aber auch missbraucht. Dozenten ließen Seminare grundlos ausfallen. Studenten gingen lieber in den Park als in die Vorlesung. Der neue Druck durch die Module ist doch ein gutes Mittel gegen diese Bequemlichkeit?

    Reiser: Das glaube ich nicht. Man hat mit Druck und Kontrolle noch nie solche Missstände beseitigen können. Man muss einfach damit leben, dass es in allen Bereichen ungeeignete und faule Leute, Studenten und Dozenten, gibt. Mit keinem System oder Zwang schafft man das ab. Das gehört zur conditio humana. Früher war es so, dass der Präsident bestimmte Fälle zu sich zitierte und abmahnte. Das trauen sich die heutigen Präsidenten nicht mehr. Und jetzt werden alle abgestraft, weil es ein paar schwarze Schafe gibt.

    NZ: Den Bologna-Prozess bezeichnen Sie selbst als ein Unwetter, das über die Universitäten zog. Warum dieser Vergleich?

    Reiser: Es ist ein Unwetter, das die Universitäten völlig zerstört. Seit Jahren hagelt es Bestimmungen hinsichtlich Studienstrukturen, der Senkung von Anforderungen oder Umstrukturierungen in den Zielbereichen. Es kommen ständig Bestimmungen, etwas auszuarbeiten oder etwas zu ändern. Diese Reform-Betriebsamkeit hat uns am ruhigen Arbeiten gehindert. Die meisten dieser Reformen, die verlangt wurden, waren aus Sicht aller Kollegen völlig unsinnig.

    NZ: In der Erklärung der Ziele des Bologna-Prozesses ist von einer «Steigerung der Mobilität im Hochschulbereich» und einer Einführung «europaweit vergleichbarer Abschlüsse» die Rede. Das klingt doch, als würde Bologna den Studenten viele Vorteile bringen.

    Reiser: Das klingt so. In Wirklichkeit ist aber genau das Gegenteil eingetreten. Die Mobilität ist schwieriger geworden, weil wir ein rigides Reglement in allen Universitäten haben, das auch unterschiedlich ist. Im neuen System kann man höchstens noch nach dem Bachelor wechseln. Selbst dann wird es schwierig, denn die Anerkennung der Studienleistungen hat sich verschlechtert, selbst innerhalb eines Bundeslandes. Die Zahl der Studienabbrecher ist gestiegen.

    NZ: Wie konnte das passieren?

    Reiser: Die Leute, die sich das ausgedacht haben, haben offensichtlich von Universität keine Ahnung. Die meinen, mit Kontrollen und Vorschriften könne man alles regeln. Beim Geist geht das aber schlecht.

    NZ: Hat die Umstellung der Studienabschlüsse auf den Bachelor und den anschließenden Master denn keine Vorteile?

    Reiser: Nein. Mit großem Verwaltungs- und Prüfungsaufwand senkt man das Niveau. Weil man viele Prüfungen hat, zieht man zum Beispiel einfach eine Woche am Semesterende für die Prüfungen ab. Ich kann beim besten Willen keinen Vorteil sehen. Natürlich, am alten System hätte man vieles reformieren müssen. Aber diese Reformen wären unter den alten Bedingungen problemlos möglich gewesen. Man hätte die Professoren und Studenten fragen müssen: Was wäre denn zu reformieren? Aber die hat man ja nicht gefragt. Irgendwelche Politiker haben beschlossen, dass es jetzt anders gemacht wird.

    NZ: Was hat Sie letztendlich zu dem radikalen Schritt bewogen, Ihre Professur an der Universität Mainz niederzulegen?

    Reiser: Mir wurde meine Freiheit genommen zu bestimmen, wie ich mein Fach strukturiere und welche Inhalte gelehrt werden. Die Universität ist nicht mehr das, was sie sein sollte, denn statt der Bildung der Persönlichkeit ist nur noch die Ausbildung auf niedrigem Niveau wichtig. Ich bin nicht bereit, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.

    NZ: Dass Professoren ihre Posten räumen und sich aus der Universität zurückziehen, bringt den Studenten aber doch auch nichts.

    Reiser: In Deutschland bin ich bislang der einzige. Das kann nicht so schlimm sein.

    NZ: Wie haben Kollegen auf Ihre Entscheidung reagiert?

    Reiser: Die sagen, ich habe in der Sache recht. Viele meinen aber auch, die Konsequenz sei überzogen. Natürlich ist meine Reaktion extrem. Ich sehe aber keine Möglichkeit, das System von innen heraus zu ändern. Die ganze Institution hat sich selber aufgegeben und aufgelöst. Ich möchte sie nicht mehr unterstützen. Fragen: Christiane Fritz

    via: http://www.nz-online.de/artikel.asp?art=1025433&kat=263


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